Interview mit Dr. Rudolf Schmitt

 
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Unter dieser Rubrik stellen wir in loser Folge Personen vor, die mit ihrem Engagement dazu beitragen, dass B360 im Norden und im Süden kontinuierlich wachsen kann. Einer der Protagonisten ist Dr. Rudolf Schmitt.

Von 1990 bis 2015 war Dr. Rudolf Schmitt Professor für Lebensmittel-Mikrobiologie und Food Safety an der Fachhochschule Westschweiz in Sion. Er hat Lebensmittelchemie studiert und in Lebensmittel-Mikrobiologie an der ETH Zürich promoviert. Über mehrere Jahre leistete er für die WHO (World Health Organization) Food Safety-Einsätze in Afrika und Asien. 2010 ging er für B360 als erster Food Safety-Experte an das Polytechnic of Namibia (heute NUST) nach Windhoek. Daraus sind inzwischen acht ehrenamtliche Einsätze geworden.

Rudolf Schmitt ist Mitglied des Vorstandes von B360.

Rudolf, du bist seit 2010 regelmässig für B360 in Namibia im Einsatz und bist auch in der Schweiz aktiv. Was motiviert dich?

Begonnen hat es während meiner Schulzeit, als ich durch Berichte über das Elend der Bevölkerung Indiens der 60er Jahre zutiefst erschüttert wurde. Daraus entwickelte sich ein Bedürfnis, etwas zu tun und mitzuhelfen bei der Verbesserung der Lebenssituation anderer Menschen. Später habe ich begriffen, dass alle Ansätze auf der Grundlage einer guten Ausbildung und der Entwicklung eines Bewusstseins der Eigenverantwortung beruhen. Es war dann eher ein Zufall, dass ich vor 30 Jahren eine erste Aufgabe in einem schwarzafrikanischen Land bekam. Die Aufgaben haben sich seither verändert, aber meine Absicht, der lernwilligen Jugend das Rüstzeug für eine Zukunft mitzugeben, die sie selbst gestalten kann, ist geblieben. Meine Motivation ist ungebrochen und ich habe viel Freude mit den hochmotivierten Studenten Namibias.

Lebensmittelsicherheit ist ein Schlüsselthema von B360 im Südwärts- und im Nordwärts- Programm. Weshalb? 

Weil es eines der zentralen Themen der Gesundheitspolitik aller Staaten ist. Es ist international anerkannt, dass der Gesundheitsschutz zu den Grundrechten gehört. Lebensmittelsicherheit ist eine wissenschaftliche Disziplin, die Verfahren zur Herstellung, Lagerung und Zubereitung unserer Nahrungsmittel ausarbeitet von der Landwirtschaft bis zur Küche, die sicherstellen sollen, dass Erkrankungen als Folge der Nahrungsaufnahme vermieden werden. Die Grundregeln, um das zu erreichen, sind gar nicht so kompliziert, aber man muss sie erlernen, umsetzen und beherzigen. Natürlich wird sich gerade die Umsetzung in die Praxis zwischen Namibia und der Schweiz unterscheiden, denn wir haben verschiedene Produkte, andere hygienische Verhaltensweisen und - ganz wichtig - eine unterschiedliche Kultur. Ich gebe in Namibia aber genau dieselben Kurse wie in der Schweiz, denn es gibt nicht zwei verschiedene Prinzipien von Food Safety, sondern nur eines. Meine Beispiele, um diese Prinzipien zu illustrieren, können von überall kommen, die Übungen wähle ich allerdings aus dem namibischen Umfeld aus.

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2011 konnte erstmals ein Student aus Namibia ein dreimonatiges Praktikum in der Schweiz absolvieren. Es war Nicco Matengu, ein Student der  Abteilung Lebensmittelsicherheit. Seither haben 12 Studierende aus dieser Abteilung ein Praktikum in der Schweiz absolviert. Eine Erfolgsgeschichte für alle?

Bei dieser Frage möchte ich das Wort «Erfolgsgeschichte» aus zwei Blickwinkeln beleuchten. Der erste ist, dass fast alle zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug sassen, in ein anderes Land reisten und von einer Familie und einer Firma begrüsst wurden, die ihnen völlig fremd waren. In den drei Monaten in der Schweiz machten alle eine unglaubliche Entwicklung durch, vor allem in persönlicher Hinsicht, was ihnen nicht mehr genommen werden kann. Alle berichteten begeistert von ihren Erfahrungen in der Schweiz, und das ist eine grandiose Erfolgsgeschichte.

Der zweite Aspekt betrifft unsere Erwartungen, dass sich der Erfolg dahingehend zeigt, dass diese jungen Menschen leichter eine Anstellung finden und auch eine qualifizierte Arbeit. Da spielt die Situation auf dem namibischen Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Dennoch, 7 der 12 Personen arbeiten an guten Stellen, für die sie ausgebildet wurden: als Health and Safety Practitioners sei es in der Lebensmittel- oder einer anderen Industrie. Zwei bekamen ein Stipendium für ein weiterführendes Studium, einmal eine Masterausbildung in UK sowie ein Medizinstudium in Russland. Zwei weitere haben gute Jobs in der Pharma- und Biotech-Branche. Nur von einer Person weiss ich nicht, wo sie untergekommen ist. Wenn man berücksichtigt, dass über 90% dieser Leute eine adäquate Beschäftigung haben, ist auch dieser Teil für mich ein Erfolg, insbesondere wenn ich es mit den deutlich geringeren Chancen ihrer Kollegen vergleiche.

Was hat sich in den letzten 9 Jahren im Bereich LebensmittelSicherheit im Norden und im Süden verändert?

Für das Gebiet der Lebensmittelsicherheit sind 9 Jahre eine kurze Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass die heutigen Konzepte in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden und in ihrer heutigen Form seit etwa 1985 gesetzlich vorgeschrieben sind. Die WHO hat in jenen Jahren viele Consultations organisiert, damit Methoden zur Umsetzung der Food Safety-Prinzipien für alle Länder, egal ob arm oder reich, erarbeitet werden. Natürlich wurden im Norden größere Fortschritte gemacht als im Süden. Im Norden ist seit 2009 das große Thema, das Management der Lebensmittelsicherheit in den Betrieben nach internationalen Standards zu zertifizieren, um die weltweite Anerkennung der eigenen Systeme zu erreichen und sich damit Märkte zu erschließen. Im Grundsatz gilt das natürlich auch für die Länder des Südens, jedoch ist man hier noch weit zurück, außer die Firma gehört einem multinationalen Konzern. In vielen Ländern des Südens, und Namibia gehört dazu, gibt es noch nicht einmal eine moderne Lebensmittelgesetzgebung, die für alle Food Handler eine gute Hygienepraxis und eine wirksame Prozessbeherrschung vorschreibt. Aber es gibt sehr erfreuliche Entwicklungen, wie das schöne Beispiel einer Studentin des NUST zeigt, die in kurzer Zeit in einem Schlachthof ein Qualitäts- und Hygienekonzept einführte, damit dieser Betrieb seine Schlachtkörper exportieren kann. Es ist genau der Impact, den wir Experten aus der Schweiz mit unserem Einsatz in Namibia erreichen wollen.

Wo liegen deiner Meinung nach die besonderen Herausforderungen, Risiken und Chancen?

Da die Entwicklungen wie in den vergangenen Jahren auch in Zukunft rasch fortschreiten werden, muss B360 darauf achten, dass Experten zur Verfügung stehen, die das entsprechende Fachwissen gekoppelt mit didaktischem Geschick für die afrikanischen Studenten und Studentinnen mitbringen. Das wird nicht ganz einfach sein, denn viele Dozenten müssen von ihren Arbeitgebern für diesen Einsatz freigestellt werden. In dieser Herausforderung ist auch schon das Risiko angesprochen, dass dies nur unzureichend oder gar nicht gelingt. Andere Risiken liegen in Afrika und bei uns in der Schweiz verborgen. In Afrika, dass die Leitung der Hochschule ihre Politik gegenüber ausländischen Experten ändert und unser Engagement nicht mehr erwünscht ist. In der Schweiz, dass finanzielle oder personelle Ausfälle dazu führen, dass der große freiwillige Einsatz aller Beteiligten, speziell der Leitung und Organisation von B360, gebremst oder gestoppt werden muss. Die größte Chance sehe ich darin, dass die jungen Leute, die nun seit 10 Jahren in Namibia und anderen Ländern ausgebildet wurden, selbst einen Beitrag leisten, indem sie die entsprechende Hochschule unterstützen, den Studenten aus ihrer beruflichen Praxis berichten, den frisch Diplomierten eine Arbeitsstelle anbieten und eine lebendige Alumni-Gruppe aufbauen und unterhalten. Damit würde die von B360 aufgebaute Partnerschaft in eine tragfähige Zukunft geführt.

B360 wird dieses Jahr 10 Jahre alt. Was sind deine Wünsche für die Zukunft der Jubilarin?

In einem Wort: Nachhaltigkeit. Diesen heute strapazierten Begriff verstehe ich nach Duden in seiner ursprünglichen Bedeutung, dass B360 über längere Zeit eine anhaltende Wirkung erzielt. Diesen Effekt wünsche ich B360 in mehrfacher Hinsicht. Zuerst einmal: die Studenten der drei Schwerpunktländer von B360 profitieren von uns Experten aus dem Norden und können ihren Horizont nicht nur in technischen, sondern vor allem in ethischen Fragen stark erweitern. Als zweites wünsche ich mir, dass die Dozentenschaft der entsprechenden Hochschulen im südlichen Afrika durch den Kontakt mit uns den Anschluss an die wissenschaftliche Welt des Nordens schaffen und selbst die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung ihrer Institute übernehmen können. Und schließlich, dass die Praktika der Studentinnen und Studenten bei den Firmen und Gastfamilien nachhalten und somit auch dieser kulturelle Austausch zu einer Öffnung und einer unvergessenen Zeit für alle Beteiligten führt.